Brilliance BS4

Fahrbericht.
Brilliance BS4
Nicht wirklich brillant, aber bezahlbar
Von Petra Grünendahl

Bereits 2007 kam der Brilliance BS4 in China auf den Markt. Seit dem 25. Oktober versucht der chinesische Hersteller, auch in Deutschland Käufer zu gewinnen. Mit 4,65 m Karosserielänge tritt er in der Mittelklasse an, als Wettbewerber sieht der Importeur die Modelle Skoda Oktavia, Renault Mégane, Toyota Avensis, Mazda6 und VW Passat. Gefertigt werden die Fahrzeuge der Marke Brilliance im chinesischen Werk in Shenyang. Dort laufen auch 3er und 5er BMW für den chinesischen Markt von Band. In China gilt Brilliance nicht als Billig-Marke und gehört zu den Top6 der einheimischen Automobilindustrie.

Gefällig ist die chinesische Mittelklasse gestaltet, um nicht zu sagen zeitlos, allerdings nicht besonders markant und damit im Straßenbild eher unauffällig. Beim Design hat Pininfarina Hand angelegt. Das Modell ist eine klassische Stufenheck-Limousine, eine Kombi-Version mit der Bezeichnung „Wagon“ soll im kommenden Jahr folgen. Einen ersten Eindruck gewannen wir auf Ausfahrten mit beiden Modellen, einem 1.6er Comfort und einem 1.8er Deluxe.

 

Guten Zugang zu einem großzügigen Innenraum bieten vier Türen. Die Übersicht über die Karosserie ist eher bescheiden, die in der Deluxe-Version serienmäßige Einparkhilfe sehr empfehlenswert. In beiden Reihen ist das Platzangebot für die Insassen üppig bemessen, allerdings könnte es für Sitzriesen nach oben etwas eng werden. Das Gepäckabteil ist mit 430 Litern Fassungsvermögen gut dimensioniert, erlaubt sind maximale 360 kg Zuladung.

Brilliance will keine Billig-Marke sein und das merkt man: Materialqualität und Verarbeitung im Innenraum sind erstaunlich gut. Da gibt es nichts zu meckern! Die Sitze sind ausreichend straff, nicht unkomfortabel und bieten ausreichend Seitenhalt. Das Armaturenbrett ist übersichtlich gestaltet, die Mittelkonsole leicht zum Fahrer geneigt, wie man es auch von BMW kennt. Schalter und Anzeigen sind ohne Probleme bedienbar.

Für einen Grundpreis von unter 16.000 Euro darf man hier natürlich keine reichhaltige Ausstattung erwarten, aber schon das Basismodell verfügt über die grundlegenden Annehmlichkeiten des Autofahrerlebens wie eine Zentralverriegelung (funkfernbedient ab dem 1.8er Motor), elektrische Fensterheber rundum, elektrisch einstellbare und beheizbare Außenspiegel, Radiovorrüstung mit Lautsprechern und Antenne, Klimaanlage, Nebelscheinwerfer und 15-Zoll-Stahlfelgen mit Radabdeckungen. Das Lenkrad ist neigungsverstellbar, der Fahrersitz achtfach und der Beifahrersitz vierfach verstellbar. Die Deluxe-Version kommt zusätzlich mit Features wie Lederlenkrad, Teilleder-Sitzbezügen, einer Klimaautomatik mit Sonnensensor, einem elektrischen Glas-Hebe-Schiebedach, einer Einparkhilfe hinten sowie 16-Zoll-Leichtmetallfelgen.

Die Motoren stammen von Mitsubishi und werden von den Chinesen in Lizenz gefertigt, der 1.6er ist sogar aktuell noch im Programm (im Lancer). Er leistet hier 100 PS, der größere 1.8er sogar 136 PS. Beide sind solide Hausmannskost und reißen keine Bäume aus. Akustisch sind sie im Innenraum präsent, arbeiten aber rund und recht vibrationsarm. Der 100-PS-Motor hat mit den fast 1,5 t Karosserie ein wenig zu kämpfen, der 1.8er geht da schon mit etwas mehr Vehemenz zur Sache. Beide Motoren hängen gut am Gas, die Leistungsentfaltung bewegt sich auf solidem Niveau. Der 1.6er erreicht sein maximales Drehmoment von 134 Nm bei 4.500 U/min., der 1.8er wuchtet seine 165 Nm bei 5.000 Touren auf die Antriebswellen. Beide brauchen mächtig Drehzahl, um in Fahrt zu kommen. Wer nicht unbedingt aus Budget-Gründen den 1,6er ordern muss, sollte das stärkere Aggregat wählen. Ein 1,8-Liter-Turbomotor wird noch für den europäischen Markt optimiert.

Das manuelle Fünfgang-Schaltgetriebe schaltet sich leichtgängig und präzise. Die Getriebeübersetzung ist eher lang ausgelegt, um dem schweren Fahrzeug einigermaßen gesittete Trinkmanieren beizubringen. Das geht natürlich zu Lasten des Temperaments.

Für die Beschleunigung von Null auf 100 km/h braucht der 1.6er 13,9 Sekunden, der 1.8er 11,8 Sekunden. An Höchstgeschwindigkeit erreicht der 1.6er gute 180 km/h und der 1.8er sogar 195 km/h. Der Verbrauch liegt beim 1.6er bei 10,5 Litern Superkraftstoff je 100 km innerorts, 6,6 Litern außerorts und 8 Litern im gemischten Verbrauch nach EU-Norm. Der 1.8er konsumiert 11,9 Liter innerorts, 6,8 Liter außerorts und 8,7 Liter im gemischten Verbrauch nach EU-Norm (alles Herstellerangaben, ermittelt unter Idealbedingungen auf dem Rollenprüfstand). Beide Motoren erfüllen die Abgasnorm EU4, der CO2-Ausstoß beträgt 190 g pro km beim 1.6er und 205 g pro km beim 1.8er.

 

Der Fronttriebler glänzt mit gutem Geradeauslauf. Die Lenkung ist schon recht direkt ausgelegt, leichtgängig und präzise in der Führung. Da kommt Freude auf! Das Fahrwerk tendiert eher in Richtung straffer ausgelegt, um höhere Sicherheitsreserven zu mobilisieren, ist aber keineswegs unkomfortabel. Bei der Fahrwerksentwicklung haben Ingenieure eines Stuttgarter Sportwagenherstellern mit Hand angelegt, um den Wagen für den europäischen Markt fit zu machen. Im Fahrverhalten ist er neutral und problemlos. Flott angegangene Kurven meistert er gutmütig und mit einer leichten Tendenz zum Untersteuern, auf jeden Fall aber leichtfüßig und fast schon dynamisch. Die Comfort-Version seht auf 15-Zoll-Rädern mit 195/65er Reifen, der Deluxe auf 16-Zöllern mit 205/55er Sohlen. Beide Räder-Kombinationen bieten gute Traktion und ausreichende Seitenführung. Gut und sicher verzögern die Scheibenbremsen rundum (vorne innenbelüftet).

Der Sicherheit dienen eine verwindungssteife Karosserie mit klar definierten Verformungszonen, eine verstärkte Dachkonstruktion, Seitenaufprallschutz durch verstärkte Seitenträger in Türen und Schwellern sowie speziell geformte A-, B- und C-Säulen. Insgesamt verfügt die europäische Version des BS4 über rund 60 zusätzliche Verstärkungen gegenüber der chinesischen Version, wo man weit weniger wert auf Crashsicherheit legt als in Europa oder Amerika. Im Innenraum runden Drei-Punkt-Gurte und Kopfstützen, Front- und Seitenairbags vorne, Sitze mit Anti-Submarining-Kissen (verhindern das Durchrutschen unter dem Sicherheitsgurt) sowie die Sicherheitslenksäule das Paket ab. Kopfairbags gibt noch nicht, auch nicht optional.

Nach dem katastrophalen Abschneiden des BS6 beim Crashtest hat Brilliance hiermit beim schon in der Entwicklung stehenden BS4 nachgebessert, aber dem sind natürlich in einem laufenden Prozess Grenzen gesetzt. Einen Crashtest nach EuroNCAP hat der BS4 noch nicht absolviert, aber Hartwig Hirtz, Geschäftsführer von Brilliance Deutschland, erwartet mindestens drei Sterne für Insassenschutz. Mehr schafft ein Dacia Logan auch nicht (2005), und auch der Smart Fortwo der ersten Generation kam auch nicht darüber hinaus (2000). An aktiven Systemen kommt der Chinese mit Servolenkung, ABS und elektronischer Bremskraftverteilung. Ein ESP wird frühestens 2010 verfügbar sein. Für den Pannenfall verfügt der Brilliance über ein vollwertiges Ersatzrad.

 

Ab 15.990 Euro steht BS4 beim Händler, in der Basisausstattung Comfort mit 1,6-Liter-Motor. Der 1.8er kostet in der Comfort-Ausstattung ab 17.550 Euro, in der Top-Ausstattung Deluxe ab 19.550 Euro. Die Aufpreisliste ist kurz: Lediglich die Metallic-Lackierung sowie ein CD-Radio sind hier verfügbar. Und für dieses Geld bekommt man schon eine ganze Menge Auto. Für automobile Grundbedürfnisse ist es auf jeden Fall ein faires Angebot. Zum Marktstart des BS4 am 25. Oktober hatte Brilliance 124 Händler in Deutschland, die die chinesischen Marke als Zweit- oder Drittmarke im Portfolio führen. Bis zum Jahresende sollen es 150 werden, in den kommenden Jahren will man das Netz der Brilliance-Partner auf 250 erweitern.

Brilliance gibt eine dreijährige Neuwagengarantie (bis 100.000 km). Zum Ölwechsel muss der BS4 alle 15.000 km oder einmal jährlich, zur Inspektion alle 30.000 km oder alle zwei Jahre. Verbindliche Typklassen-Einstufungen gibt es bislang für das Modell noch nicht, jede Versicherung muss das Risiko für sich abschätzen. Die Victoria Versicherung stuft zum Beispiel beide Modell in die Typklassen 18 / 20 / 23 (KH / VK / TK) ein, die Huk-Coburg den 1.6er in die Klassen 19 / 17 / 17 und den 1.8er in die Klassen 20 / 17 / 17. Andere nachgefragte Versicherungen wollten keine Einstufungen nennen. Die genannten Einstufungen gelten bis zu einer eventuellen Aufnahme in das offizielle Typklassen-Verzeichnis des GDV.

© November 2008
Petra Grünendahl
, Fotos: grü (7) / Brilliance (5)

Über Petra Grünendahl

Erfahrener Journalist mit einem Gespür für Themen, Geschichten und Bilder, aber auch Inhalte und klare Worte. Mit fachübergreifender Denke, Redaktionsverantwortung und einem Blick für Zielgruppen. Generalist mit Special Interests (Fachjournalist), Kommunikationsexperte, Öffentlichkeitsarbeiter und Netzwerker.
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